Herr Professor Strobl, Sie beschäftigen sich seit den späten 1970er-Jahren mit Geografie und geografischen Informationssystemen. Was waren die großen Abschnitte und Meilensteine in der Geoinformatik?

Für mich war es ein gutes Timing, denn ich begann mein Studium Ende der 1970er-Jahre, und ab den 1980er-Jahren fasste das Thema in Europa richtig Fuß. Die USA waren früher dran als wir.

Wie überall begann es in der Geografie durch den Einsatz von Informatik mit der sogenannten „quantitativen Revolution“: Aus einem Automatisierungswunsch heraus wollte man Dinge, die es vorher schon gegeben hatte, schneller, besser und schöner tun – zusätzlich zum Einsatz nummerischer, z.B. statistischer Methoden. Zum einen war das natürlich das Zeichnen von Landkarten, damals als Computerkartografie bezeichnet. Andererseits entwickelte sich die Geoinformatik aus der Fernerkundung heraus. Dort waren die Daten – die Satellitenbilder etwa – schon digital. Bis heute leben wir mit dieser Zweiteilung: das Rasterdatenmodell aus der Fernerkundung und das Vektordatenmodell aus der Kartografie.

Auf die quantitative folgte aber eine qualitative Revolution: die Entdeckung, neue Dinge tun zu können, die es vorher nicht gegeben hatte. Eine optimale Route über 50 Standorte kann ich händisch nicht rechnen. Auch heute noch ist das der große Nutzen in der Wirtschaftsgeografie: aus räumlichen Daten Wissen zu gewinnen, mit dem Entscheidungen besser getroffen werden können.

Josef Strobl

Zur Person

Univ-Prof. Dr. Josef Strobl ist Leiter des Interfakultären Fachbereichs Geoinformatik – Z_GIS an der Universität Salzburg.

Z_GIS ist ein interdisziplinäres Kompetenzzentrum für Geoinformatik, das sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte Forschung betreibt. Mit innovativen räumlichen Konzepten und Methoden sollen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt quer über die Disziplinen unterstützt werden.

Bild: (c) Konrad Fersterer

Wie ging es dann weiter?

Eine wesentliche Entwicklung  war die vom Desktop zur Cloud. Das betrifft natürlich nicht nur die Geoinformatik, aber hier fand die Entwicklung etwas verzögert statt. Ich erkläre es mit einem Vergleich: In den 1990er-Jahren las man seine Emails mit einem Email-Programm und musste die Inbox auf einem Datenträger speichern – damals oft noch eine Diskette, die man bei sich trug. Heute will man weder die Software noch die Daten lokal haben, es ist alles im Web, auf verteilten Servern. Die Emails werden online im Browser bearbeitet.

Das gibt es jetzt auch für GIS – begonnen hat es schon zur Jahrtausendwende, aber erst seit ein paar Jahren geht es wirklich gut. Das WebGIS läuft im Browser – ich will nicht einmal einen Server, ich will ein Service. Der Schritt in die Cloud brachte uns die Skalierbarkeit, aber natürlich auch, dass GIS für wesentlich breitere Nutzerkreise zugänglich wurden.

Das Paradigma dieser Epoche und ihre Herausforderung war der Aufbau einer Geodateninfrastruktur – Geospatial Data Infrastructures ist der englische Begriff. Das Internet machte es möglich. Wenn es in Österreich eine Bodenkarte gibt, oder einen Straßendatensatz, so will ich keine Kopie davon, ich will darauf zugreifen können.

Sie sagten, „das Paradigma dieser Epoche war …“ Gibt es bereits ein neues Paradigma?

Ich denke ja. Das ist eine sehr aktuelle Entwicklung, die sich an den Begrifflichkeiten in wissenschaftlichen Publikationen ablesen lässt. Der Ausdruck Geospatial Data Infrastructure kommt zunehmend aus der Mode, stattdessen spricht man jetzt von Geospatial Knowledge Infrastructure.

Der Shift vom Handling von Daten zum Handling von Wissen?

Genau. Die Geoinformatik war ja in den ersten Jahrzehnten eine datenarme Wissenschaft. Daten waren oft nur analog vorhanden und Dokumente mussten erst einmal digitalisiert werden. So manches Projekt (ver)endete dort schon. Heute sind wir am anderen Ende der Skala angelangt: Statt des Mangels haben wir eine Flut von Daten und die Kunst besteht darin, daraus Wissen zu erzeugen und es anzuwenden.

Damit sind wir beim Stichwort Big Data. Dazu gehört auch der Datenschutz.

Das muss man präzisieren: Es geht dabei um personenbezogene Daten. Auch in der öffentlichen Verwaltung sehen wir, dass der Datenschutz gerne als Totschlagargument für alles, was man nicht hergeben will, verwendet wird. Gerade in der Wirtschaftsgeografie wird viel mit aggregierten Daten gearbeitet, die natürlich nicht auf auf Individuen rückverfolgbar sein dürfen und damit im juristischen Sinne nicht personenbezogen sind.

Auf der anderen Seite ist Location ein absolutes Kernelement unserer gesamten Datenökonomie, die ja auch Social Media inkludiert, und es wird gerne übersehen, dass die Position im Raum ein sehr kritisches Datenschutzelement ist. Das gilt insbesondere für so manche Digital Natives, für die soziale Interaktion über digitale Medien völlig selbstverständlich ist. Das ist nichts grundsätzlich Böses, unsere eigenen Profile unterstützen uns ja vielfältig. Nun kommt aber die Data Science hinein: Die Kombination von Daten, die Personen- und Standortbezug haben, kann sehr heikel sein – Stichwort geografische Rasterfahndung – selbst, wenn ich mich an öffentlichen Orten aufhalte. An unserem Kompetenzzentrum haben wir auch Vermittlungsprogramme für SchülerInnen und LehrerInnen, und wir bemühen uns sehr, für dieses Thema zu sensibilisieren.

„Das WebGIS läuft im Browser – ich will nicht einmal Server, ich will ein Service. Und wenn es in Österreich eine Bodenkarte gibt, oder einen Straßendatensatz, so will ich keine Kopie davon, ich will darauf zugreifen können.“

Univ-Prof. Dr. Josef Strobl, Interfakultärer Fachbereich Geoinformatik – Z_GIS, Universität Salzburg

Zugriff auf Geodaten in der Cloud

Welche weiteren aktuellen Trends halten Sie für relevant?

Open Data sind ein nicht ganz neuer Trend, aber einer, der an Bedeutung noch gewinnen wird. Open Content, Open Source, Open Science, Citizen Science – der ganze Komplex. Ich erwähne das gerne, weil es mir ein demokratie- und bildungspolitisches Anliegen ist.

Historisch betrachtet war die Kartografie und topografische Vermessung ja immer stark top-down-geprägt, verbunden mit staatlichen und militärischen Strukturen, in Österreich etwa dem k.u.k. Militärgeographischen Institut. Neben Geoinformation als Macht- und Herrschaftsinstrument können wir erfreulicherweise heute Wissen auch bottom-up generieren. OpenStreetMap ist dafür ein Beispiel. Diese Daten sind flächendeckend, hochwertig und qualitativ kompatibel, daher setzen sie sich auch durch.

Das ist nicht zu verwechseln mit Informationsprodukten, wie sie in der Wirtschaftsgeografie verwendet werden. Für sozioökonomische und demografische Segmentierungsdaten etwa brauche ich ein Geschäftsmodell, weil das keine Primärdaten sind, sondern eben ein Mehrwert-Informationsprodukt. Es ist aber nicht einzusehen, warum z.B. Fernerkundungsdaten wie Verkehrsdaten oder Wetterdaten aus direkter Messung, die von einer öffentlichen Institution erhoben und damit vom Steuerzahler bereits bezahlt wurden, nicht allen zur Verfügung stehen sollen.

Stichwort Wirtschaftsgeografie: Welchen Stellenwert nimmt Geomarketing in der Geoinformatik ein?

Ich verwende lieber den Begriff Business Geographics, Geomarketing ist mir zu eng gefasst. Die größten Sektoren in der angewandten Geoinformatik sind Militär und staatliche Verwaltung, dann kommt die Industrie. In absoluten Zahlen ist die Wirtschaftsgeografie aber mit Sicherheit kein Nischenthema.

Wir stellen oft fest, dass Unternehmer gar nicht wissen, welchen Nutzen sie aus der räumlichen Analyse ziehen können. Wie kann man dafür mehr Awareness schaffen?

Als Universität fühlen wir uns da ein Stück weit in einer missionarischen Rolle. Wir führen den Dialog, z.B. bei unserem jährlichen Symposium für angewandte Geoinformatik in Salzburg, der GI_Salzburg. Oft geht es darum, Neugier und Interesse zu wecken, eine Idee zu geben, was alles möglich ist.

In der Ausbildung versuchen wir natürlich, auf aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft und Wirtschaft zu antworten. Seit dem letzten Jahr bieten wir am Z_GIS ein neues Bachelorstudium unter dem Titel „Digitalisierung-Innovation-Gesellschaft“ an. Es enthält z.B. Data Science und auch Grundlagen von GIS. Geoinformatik als solche bieten wir aber darauf aufbauend als Masterstudium an. Denn ich bin überzeugt: Zuerst einmal muss man ein Fachgebiet mit den zugehörigen Problemstellungen verstehen, dann erst kann man beginnen, sie über die räumliche Komponente zu lösen. Die Geoinformatik ist eine der Vertiefungsmöglichkeiten, nach dem Bachelor.

Die Grundlagen sind aber wichtig, denn auch ein Data-Science-Studium kommt heute nicht mehr ohne räumliche, geografische Aspekte aus – damit eben z.B. an den Schnittstellen in den Unternehmen, in der Wirtschaft dieses Potenzial nicht übersehen wird.

Die Geoinformatik wird ein so selbstverständlicher Teil von Abläufen und Tools, dass sie immer weniger als eigenständiges Feld wahrgenommen wird. Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Ja. Man muss natürlich unterscheiden zwischen Entwicklern und Anwendern. Auf der Entwicklerseite wird man immer Leute brauchen, die das kompetent beherrschen. Früher haben wir gesagt: Gewonnen haben wir dann, wenn die Mehrheit der Menschen GIS verwendet, ohne sich dessen bewusst zu sein. Und dort sind wir definitiv angekommen.

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